âKĂŒnstliche Intelligenz wird unsere Welt grundlegend verĂ€ndern.â
So lautet der erste Satz im Klappentext von Sandra Navidis âDas Future-Proof-Mindsetâ. Ein Buch, das den Anspruch erhebt, uns zu inspirieren, zu befĂ€higen und unser persönliches Potenzial im Zeitalter der Digitalisierung zu verwirklichen, um aus Zeiten technologischen Umbruchs als âGewinner:in hervorzugehen.â Aber ist das so einfach gesagt wie getan oder nur eine weitere Softskill-Feel-Good-Floskel?
Schon vorm Lesen wussten wir: Das wollen wir challengen.
Als Anheizer unserer Diskussion und argumentatives GegenstĂŒck, haben wir âEvolution ohne uns â Wird kĂŒnstliche Intelligenz uns töten?â von Jay Tuck gelesen. Dramatisch! Beide BĂŒcher tacklen die Fragestellungen, welche VerĂ€nderungen in puncto KĂŒnstliche Intelligenz (KI) uns in Zukunft erwarten und wie wir diese als Menschen nutzen oder bewĂ€ltigen können.
Wie ist die GegenĂŒberstellung ausgegangen?
Ein bisschen komplexer als eine eindeutige âKI-Utopie/Dystopieâ sind die beiden Texte zwar, doch insbesondere Tucks PlakativitĂ€t legt eine bestimmte Tendenz nahe: Ob Ăberwachung, KI-Waffen, Cyberkriege oder Verschmelzen von Mensch und Maschineâ jede Hiobsbotschaft ist im GepĂ€ck. Anders positioniert sich Navidi, die KI als Potenzierung von Reflexion, Personal Branding und Female Empowerment diskutiert. Ein technologisch sehr unterschiedliches VerstĂ€ndnis.
Nicht mehr Darwins Darling?
In Navidis positivem Ausblick können wir die Technologie als Support nutzen, sind jedoch mit unseren menschlichen FĂ€higkeiten fĂŒhrend. Bei ihrem Netzwerk bestehend aus âVerbindungen zu mehreren hochkarĂ€tigen Agentenâ, Tickets zum Weltwirtschaftsforum und âFreundinnen, die hochqualifiziert und erfolgreichâ sind, ist jedoch die Frage, wie realistisch dieser privilegierte Blick auf die Welt ist. Ganz anders provoziert Tuck: âEs könnte sein, dass die KI auf lange Zeit unser Freund und Helfer bleibt. [âŠ] Es könnte aber auch sein, dass sich KI gegen uns wendet. [âŠ] Wir wissen es nicht.â
Warum so dramatisch?
Tuck postuliert: Nach Darwins âEvolutionsgesetz ĂŒberlebt die Art, die mehr Nachkommen produziert, Feinden besser entkommt und eine höhere Resistenz gegen Krankheiten hat.â Es bedarf keiner Forschung, um einzuschĂ€tzen, wie Menschen im Vergleich zu KI dastehen: Schlecht. Tuck glaubt, demnach âhat die Menschheit schlechte Kartenâ und âdie Evolution wird ohne uns weitergehen.â
Wie gerechtfertigt ist diese Annahme? Einige spannende Facts zu technologischen Entwicklungen aus Tucks âEvolution ohne unsâ:
Es gab "im Jahr 2000 weltweit etwa 1000 roboterassistierte chirurgische Prozeduren". Heute "bewegen wir uns bereits bei mehr als einer halben Million." đ€
Sowohl die neueste Barbie (mit Mikrofon und WLAN-Anschluss) als auch der Google Hightech-Teddy, ausgestattet mit âMikrofonen in den Ohren, Kameras in den Augen und einer Direktverbindung ins Internetâ können auf Kinder reagieren und ihren Eltern die GesprĂ€che aus dem Kinderzimmer live ĂŒbertragen. Micky Maus und Donald Duck im Disney Land können dank âMagicBandâ (mit Radio Frequency Identification Technologie ausgestattete ZugangsbĂ€nder) Kids erkennen, namentlich begrĂŒĂen und sogar gratulieren, wenn sie Geburtstag haben! đ§žđïžđ¶đŒ
âDie StimmbĂ€nder eines jeden Menschen besitzen Merkmale, die genauso einmalig sind wie ein Fingerabdruck. Hinzu kommen Aussprache und Dialekt, Redewendungen und Rhythmus.â Daraus können per Stimmerkennung Sprachprofile von Einzelpersonen erstellt werden. FrĂŒher war Stimmerkennung Sache von Polizei und Nachrichtendiensten, âheute kann das jedes Smartphone.â đ€łđđïž
Sogenannte âFusion-Softwareâ kann moderne Sensorik vernetzen, Big Data ordnen und zu einem Gesamtbild formen: Sprachfetzen, Schattenrisse, GPS-Positionen, Gesichtserkennung, Bodenschwingungen und GerĂ€uschkulisse können so zu einem âbrauchbaren Lageberichtâ zusammengefĂŒgt werden. Hilfreich vor allem auf Schlachtfeldern in Kriegsgebieten. đ§đȘđ§Ÿ
Reicht es bei solchen Entwicklungen wirklich, wie Navidi rÀt, unser Potential zu erkennen, Vertrauen in unsere FÀhigkeiten zu entwickeln, uns klug zu positionieren und zu vermarkten?
Weniger quatschen, mehr machen
Hilft es stattdessen, wenn wir uns alle Softwareentwicklung, Cybersecurity und Big Data Analytics widmen? Aus unserer Sicht: Nein. Auch wenn wir heute noch denken, wer Fachkenntnisse im Programmieren besitzt, âkann seiner Zukunft relativ entspannt entgegenblickenâ (D!gitalist, zitiert von Navidi), kann es schon Morgen sein, dass KI das selbst ĂŒbernimmt.
Das heiĂt, wir mĂŒssen eben doch herausarbeiten, was uns Menschen von Maschinen differenziert:
Wenn wir nicht in der Lage sind, zu reflektieren und unsere Erkenntnisse und Einstellungen zu FĂŒhrungsfragen, Networking und Gleichberechtigung in technologische Entwicklungen einflieĂen zu lassen, wie sollen Maschinen lernen, was uns als Menschen wichtig ist?
Denn das wird es sein, was den Unterschied macht, ob wir von Superintelligenzen als hilfreiche Arbeitskolleg:innen, niedliche Hauskatzen oder fehlerbelastete Ressourcenschleudern wahrgenommen werden. Mal hart gesprochen. đ
Welche Rolle werden wir Menschen einnehmen?
Wenn wir ehrlich sind und die Superintelligenzen uns gefĂŒhlsneutral betrachten, werden sie feststellen: Menschen sind verdammt fehlerbelastet. Wir haben wahnsinnig viele BedĂŒrfnisse. Atemluft, Wasser, Schlaf, Sicherheit, Pipi-Pausen, Komfort etc. Dann brauchen wir neben Platz und Rast, auch noch gut 18 Jahre, bis wir halbwegs funktionsfĂ€hig sind. GefĂŒhle gibtâs ebenfalls, Stimmungsschwankungen, Ehrgeiz, Konkurrenzdruck, Ăbermut und Stress. Krank werden wir obendrein auch noch â nicht zu schweigen von unserer Tendenz zur Vergesslichkeit, so ganz ohne Festplatte.
Es gibt viele Aufgaben, fĂŒr die KI besser geeignet ist als ein Mensch
WĂ€hrend Menschen erst geboren werden (was fĂŒr sich schon ein mĂŒhsames Prozedere ist), als Kinder heranwachsen, Jugendliche reifen und ausgebildet werden mĂŒssen, um dann nach wenigen Jahren im Arbeitsprozess erhebliche Gebrauchsspuren aufzuweisen đ€Ș, kann KI durcharbeiten. Wir mĂŒssen heute schon zugeben: Maschinen sind die robusteren Drohnen-Piloten, die stressresistenteren und ĂŒberlegenen Schachmeister und haben die ruhigeren HĂ€nde als OP-Assistenz.
Werden wir Menschen nur die âBabysitter fĂŒr voll automatisierte Systemeâ? Und wie lange ist das noch nötig, bevor Maschinen autonom sind? SpĂ€testens dann wird die KI laut Tuck entscheiden, ob Menschen ihr nĂŒtzlich sind. Wenn der Maulwurf unseren Garten zerstört oder der Mader unsere Autokabel â schreiten wir ein. Tuck glaubt die KI agiert Ă€hnlich.
WĂ€hrend Menschen mit Entscheidungen hadern und emotional bedingt die Logik auch mal liegen lassen, kalkuliert die KI einfach die âKosten fĂŒr die Wartezeitâ. Sie löst die Aufgaben, die wir ihr stellen, so schnell wie möglich. Doch was passiert, wenn wir die âProgrammzieleâ und âBewertungskriterienâ nicht ausreichend definieren?
Beispiel: WĂ€re das höchste Ziel einer in der Stadtplanung eingesetzten KI der reibungsfreie Verkehrsfluss, wĂ€ren verlorene Menschenleben durch VerkehrsunfĂ€lle ggf. als Faktor unwichtig. âDer Wert von Menschenlebenâ ist kein definierter Parameter.
Das könnte Probleme bereiten.
Inzwischen sind âTrillionen von Bits und Bytes der Einzeldaten in der Obhut von KĂŒnstlicher Intelligenz. FĂŒr menschliches Management sind solche Mengen nicht beherrschbar. Das geht nur mit leistungsstarker und lernfĂ€higer Software â mit Maschinen, die alles managen, mit Maschinen, die um ein Vielfaches klĂŒger sind als wir. Wir bauen ein Monster.â đ§ đ§Źđ§ââïž Aber keine Sorge, bei Frankenstein und Jurassic Park ist ja auch alles gut gegangen. đđŠ
Das Spannende daran: KI ist schon so weit! Nicht nur, dass KI selbststĂ€ndig lernen kann (unsupervised learning), sie schreibt sich auch fort: âErschreckenderweise waren die Zeilen, die die Software bei DeepMind schrieb, fĂŒr ihre menschlichen Meister nicht nachvollziehbar.â (Tuck)
Wer wird als Gewinner hervorgehen?
Letâs take bets, hier einige Expert:innenmeinungen:
Shane Legg, MitgrĂŒnder des britischen KI-Unternehmens Deep Mind erwartet: âEines Tages wird die Menschheit aufhören zu existierenâ und âTechnologie wird wahrscheinlich daran beteiligt sein.â Er glaubt auch, âsie ist das gröĂte Risiko dieses Jahrhundertsâ und gefĂ€hrlicher als Atomphysik.
Astrophysiker Stephen Hawking bestĂ€rkte diese BefĂŒrchtung: âKI könnte die groĂartigste Errungenschaft der Menschheit werden.â âSie könnte auch unsere letzte sein.â
Und auch Elon Musk sagt: âDie KI ist die vermutlich gröĂte Gefahr fĂŒr unsere Existenzâ.
Welchen Einfluss können wir (noch) nehmen?
Gerade um solche âVerselbststĂ€ndigungenâ zu vermeiden, mĂŒssen wir die Datenbanken anstĂ€ndig fĂŒttern und Algorithmen entsprechend programmieren. Was bedarf es dafĂŒr eigentlich? Und wer kann sowas?
Navidi und der von Tuck zitierte Professor Dr. Werner (Vorstandsvorsitzender und Ă€rztlicher Direktor der Uniklinik Essen) sind sich in einer Sache einig: âWir sollten unsere KrĂ€fte auf FĂ€higkeiten ausrichten, die von Maschinen in absehbarer Zeit nicht vergleichbar erfĂŒllt werden können.â
Sollten wir uns dann nicht mehr Gedanken machen?
Dass Deutschland an vielen Stellen den Anschluss ans Zeitalter von Big Data und KI verschlĂ€ft, ist kein Geheimnis. Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) ist beispielsweise ohne UnterstĂŒtzung der US-Partnerdienste â âlaut eigener Aussage â nicht voll handlungsfĂ€hig.â Kurz- und mittelfristig seien deutsche Spione auf das Wohlwollen der Amerikaner angewiesen. Der BND besitzt weder Technik noch Personal, um globale Datennetze umfassend anzuzapfen, geschweige denn sinnvoll auszuwerten. Ups.
Doch was können wir konkret tun und fordern?
Es benötigt Zugang zu zukunftsorientierten Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, um technologische FÀhigkeiten auszubauen.
Entscheidungen sollten auf hochwertigen, intersektionellen Daten getroffen werden, um vorprogrammierte Vorurteile zu vermeiden (z.B. Frauen im Recruiting) oder falsche Ableitungen zu treffen (z.B. Diagnose von Hautkrebs auf schwarzer Haut).
Wenn Big Data Gruppierungen benachteiligt, werden die medizinische DurchbrĂŒche, Innovationen und Produktentwicklungen ebenfalls nicht auf diese zugeschnitten sein, denn wir wissen, lange wurden Airbags oder Medikamentendosis auf den mĂ€nnlichen Körper ausgelegt, weil wir keine FrauenmaĂe berĂŒcksichtigten.
Last but not least: Future-proof mindset entwickeln! Was auch immer, das fĂŒr euch persönlich heiĂt.
In unserer Book Circle Diskussion bei 55BirchStreet haben wir fĂŒr uns als Team die Frage beantwortet:
âWas ist das future-proof mindset von 55BirchStreet?â
FĂŒr uns heiĂt es nicht, schnell zum Datenmakler oder Drohnenpilot umzuschulen. Doch es hat Einfluss darauf, welchen Themen wir uns widmen und worin wir uns weiterbilden und eben auch wonach wir unsere Partner, Kunden und Projekte auswĂ€hlen, um unserer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden: Millionenprojekt zur Entwicklung von Killer-Roboter-Hummeln oder Ăberwachung von Kleinkindern per Spionage-Teddy, nein danke!
AuĂerdem heiĂt es fĂŒr uns: #faszinationzukunft â weiter wissbegierig und neugierig sein und im âZukunftsforscher-Modusâ kritisch denken, und u.a. mit den Megatrends auseinandersetzen
#creativesolutions â flexibel, proaktiv und mutig sein und immer wieder die Frage stellen: âWas spricht dagegen?â, um in Lösungen, statt in Problemen zu denken
#EQ â Inspiration in menschlichen Begegnungen zu suchen und durch aufrichtiges Interesse Beziehungen aufzubauen
#innovationdurchkooperation â neue Impulse in der Interaktion zu schaffen und Zeit zum Philosophieren einzurĂ€umen
#ownership â das gesamte Team dazu befĂ€higen, unternehmerisch zu denken
#fehlerkultur â Potentiale erkennen, ausprobieren und trotz Misserfolgen begeisterungsfĂ€hig zu bleiben
#resilience â Umgang mit Unsicherheit und VerĂ€nderung lernen, um gesund und motiviert zu bleiben
Diese Liste wird nie vollstĂ€ndig sein. Und doch kann uns ein solches "Future-Proof-Mindsetâ helfen, komplexe Fragestellungen unserer Zeit besser zu verstehen, z.B. wie Ethik und KI zusammenhĂ€ngen, welche Gefahren sich hinter Datenmonopolen verbergen, wie Berufe und Zusammenarbeit in der Zukunft gestaltet werden oder welche FĂ€higkeiten Kinder heutzutage lernen sollten. Keine dieser Fragen kann so konkret in einem dieser BĂŒcher beantwortet werden. Dabei helfen kann vielleicht Navidis Tipp: âWie Sie Probleme formulieren, bestimmt, wie Sie sie lösen.â
Unsere Empfehlung
Wenn ihr euch regelmĂ€Ăig mit diesen Themen beschĂ€ftigt, ist es nicht besonders erleuchtend, Navidis Beststeller zu lesen. Sie sagt selbst, dass âes sich in erster Linie an Menschen wendet, die keine âTechiesâ sind und in der analogen Welt arbeiten, wodurch in jedem Fall ein guter Einstieg zur Thematik geboten wird.
Tucks Buch war polarisierend und plakativ, doch es hat fĂŒr uns neue technologische Fortschritte aufgetischt und uns zum Denken angeregt! Not too bad. Eine neutrale Auseinandersetzung mit dem Thema findet man hier allerdings sicherlich nicht.
Was ist Euer persönliches Future-Proof-Mindset? Wir freuen uns auf den Austausch!
Spannender Stoff zum Weiterlesen đ
Cathy OâNeil â Weapons of Math Destruction
âHuman Is The Next Big Thingâ â D!gitalist, 11.01.2018
Yuval Noah Harari â Homo Deus
Ray Dalio â Die Prinzipien des Erfolgs