Dass Social Media und insbesondere Smartphones unsere Aufmerksamkeitsspanne reduzieren, scheint mittlerweile weitestgehend akzeptiert zu sein. Nicht umsonst versackt man am Morgen 30 Minuten auf Instagram, statt aufzustehen, springt auf einmal auf TikTok über, statt sich den eigenen Verpflichtungen zu widmen und die Jugend von heute, puh, da will man ja gar nicht erst von anfangen! So oder so ähnlich hat man das bestimmt schon einmal gehört oder gedacht, unter der Annahme Social Media bewirke Hirnfäulnis, was allerdings gar nicht wirklich stimmt, wie man im Unterton vielleicht schon heraushört. 😉 Zumindest ist das Problem weitaus komplexer als häufig dargestellt.
Wir haben einen Blick darauf geworfen, warum so viele von uns das Gefühl plagt, sich nicht mehr konzentrieren zu können, wo unsere Aufmerksamkeitsspanne denn nur hin ist und wie man diese wieder für sich beanspruchen kann.
Wohin mit unserer Aufmerksamkeit?
Es war 2015, als das Internet in Furore geriet, aufgrund eines neuen, schockierenden Studienergebnisses, welches von bekannten Leitmedien wie dem Time Magazin, The Independent oder auch New York Times Opinion verbreitet und reproduziert wurde: Die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne des Menschen beträgt nun acht Sekunden – kürzer als bei einem Goldfisch. Dass eine solche Meldung sich wie ein Lauffeuer verbreitet, ist wenig überraschend. Sie ist skandalös, bietet Grund zum Meckern (das Internet liebt es bekanntlich zu meckern), entspringt einer reputierlichen Quelle und bestätigte für viele, was sie schon lange glaubten: Mein Handy ist schuld, dass ich mich nicht mehr konzentrieren kann! Der Clou ist nun aber, dass das gar nicht wirklich stimmt.
Grund zum Aufatmen gibt es vorab insofern, dass die Behauptung zur achtsekündigen Aufmerksamkeitsspanne wirklich Quatsch ist, wie auch Forbes erklärt. Ihren Popularitätsursprung fand die These in einem Bericht von Microsoft Ads, wo etwas unvorsichtig das „Studienergebnis“ einer SEO-Website, welche sich als akademische Institution ausgab, übernommen wurde, anhand eines Tests, bei welchem 25 Proband:innen nach wenigen Sekunden Websites verlassen haben, die sie für uninteressant befanden. Wissenschaftlich wäre das gleichzusetzen mit einer Schulstudie, bei welcher das durchschnittliche Unterrichtsinteresse der Schüler:innen anhand von Mathematik untersucht und auf den gesamten Lehrplan übertragen wird. 🧮 Nicht sonderlich empirisch. Aus gutem Grund wurde besagter Bericht mittlerweile zurückgezogen.
Wenn die Studie auch (liebevoll gesagt!) Unfug sein mag, beleuchtet sie dennoch – in einem kleinen, glücklichen Zufall – die eigentliche Krux von Studien in puncto Aufmerksamkeit: Konzentration kann nicht wirklich quantifiziert werden, wenn diese in Abhängigkeit von einem Konzentrationsobjekt steht. Schaut man etwa lieber einen Actionfilm mit Tom Cruise, gewaltigen Explosionen und coolen Flugzeugen, als Farbe beim Trocknen zu, ist das nicht indikativ dafür, dass man sich nicht mehr konzentrieren kann, sondern dass ein Objekt einfach interessanter als das andere ist; dass Aufmerksamkeit erhascht werden muss.
Allgegenwärtige Ablenkungen, an jeder Ecke
Die gesunde Skepsis verleitet einen nun sicherlich zu sagen: „Gut, vielleicht keine acht Sekunden, doch habe ich schon das Gefühl, weniger aufzupassen.“ Man denke an die häufig erzählte Anekdote, als Kind noch Bücher in einem Rutsch durchgelesen zu haben und nun greift man alle 10 Minuten zum Smartphone. Irgendwas stimmt scheinbar doch nicht – insbesondere, wenn wahrscheinlich die bloße Anwesenheit eines Handys die eigene Aufmerksamkeit negativ beeinflussen kann.
Es muss hierbei festgehalten werden, dass viele der Inhalte, welche wir digital konsumieren, darauf ausgelegt sind, unsere Aufmerksamkeit zu beanspruchen. Soziale Netzwerke beispielsweise wollen natürlich, dass wir Zeit auf diesen verbringen und entwickelten dementsprechend ausgeklügelte Mechanismen hierfür – und das mit großem Erfolg. Allein in 2020 haben mehr als eine Milliarde Menschen drei Stunden täglich auf sozialen Medien verbracht.
Hierbei erfolgte häufig keine wirkliche Auseinandersetzung mit den Inhalten, sondern Mindless Scrolling: Der passive Konsum von Social Media, ohne wirkliches Bewusstsein, was man gerade eigentlich macht. Ein Verhalten, dass vielen sicherlich geläufig ist. Eine Push-Benachrichtigung reicht, um plötzlich zehn Minuten im Instagram Feed zu versinken, bis die Realisation folgt: Was mache ich gerade eigentlich? Es fehlt nur der nötige Impuls und den geben wir uns häufig selbst. Habe ich eine Nachricht? Hat eine:r meiner Freund:innen etwas gepostet? Oder eben doch besagte, plumpe Benachrichtigung. Hauptsache, es ist spannender als das, dem man sich aktuell widmet. Es liegt auch keine Schande darin, lieber ein Katzenvideo zu schauen, als Woyzeck zu lesen, ganz ehrlich gesagt. 😉
Die Sache mit der Langeweile
Wirklich schön ist das dennoch nicht. Bevor wir uns aber den Implikationen des geläufigen Scrollverhaltens widmen, ist eine Sache wohl noch wichtig vorzustellen: Warum lassen wir uns so schnell von der Technik ablenken? 🤔 Ist unser Social-Media-Konsum eventuell Symptom eines viel verbreiteteren Problems? Wohl kaum werden unsere Synapsen schließlich so simpel verkabelt sein, dass eine Nachricht auf dem Bildschirm reicht, um uns vollkommen aus dem Konzept zu reißen.
Gerade deswegen könnte es auch ironisch klingen, ausgerechnet jetzt von Langeweile zu reden, wenn es doch keinen Moment mehr gäbe, wo man nichts tun muss, wo irgendwas immer die Aufmerksamkeit von einem beanspruchen möchte und wo man eigentlich schon überladen ist mit all den externen Reizen, die unser Sensorium für sich haben wollen. Das Problem sei doch, dass Mindless Scrolling von wichtigeren Prozessen abhält. Langeweile ist aber nicht nur, wie wir häufig annehmen, nichts tun. Mariusz Finkielsztein definiert Langeweile wie folgt:
A negatively perceived sense of meaninglessness connected to disengagement from interaction with our environment.
Langeweile entspringt somit dem Bedürfnis, etwas Sinnvolles zu tun, dem aber nicht nachgehen zu können – und das ist ein Gefühl, welches insbesondere heutzutage, trotz all dieser Netzwerke und Medien, akuter ist als je zuvor. Eine steigende Tendenz der letzten drei Jahrhunderte, obwohl man doch meinen könnte, alles sei etwas spannender geworden. In direkter Korrelation zur Industrialisierung und Urbanisierung der westlichen Welt, lässt sich jedoch leider attestieren, dass diese in weniger zufriedenstellenden und bedeutsamen Arbeits- und Sozialleben resultierten – und das wiederum verantwortet besagte Langeweile. Mehr Langeweile als je zuvor. Um nochmal zurückzurudern: Was genau hat das jetzt mit Smartphones, Social Media und Co. zu tun?
Zu gerne verfallen wir dem Trugschluss, Smartphones könnten entstehende Langeweile offenbar in den Griff bekommen, indem sie uns eine Aktivität geben, die vielleicht nicht weniger bedeutungslos wahrgenommen wird, doch zumindest interaktiver und somit weniger losgelöst ist. Knapp gesagt: Nein. Es heißt aus gutem Grund Mindless Scrolling. Eigentlich wird besagte Langeweile hierbei schlicht und ergreifend verschoben, bis diese sich anhäuft, was besagte Langeweile nicht nur chronisch gestaltet: Sich langweilen, ohne es wirklich zu registrieren, jedoch ahnend, dass etwas fehlen könnte, was wiederum davon abhält, die eigentlichen Auslöser dieser Langeweile zu adressieren. Vielleicht fühlt man sich unterfordert, vielleicht stimmt einen der eigene Job unzufrieden, vielleicht erfüllen uns unsere sozialen Beziehungen nicht. Die Klassiker eben.
Es versteht sich: Das ist keine gesunde Wechselbeziehung. Und obendrein ist es ziemlich schwer dieser zu entkommen. Immer mehr Plattformen üben sich darin, eine digitale Wundertüte bereitzustellen, ob bei TikTok, Instagram oder dergleichen. Schließlich weiß man nie, was für ein Video oder Inhalt als nächstes kommt, wenn jeder Swipe ein Reset ist. Vielleicht wird das nächste Video sogar richtig aufrichtig! Oder lustig. Vielleicht lernt man was und vielleicht gibt es Klatsch und Tratsch. Das weiß man aber erst, wenn man swipet. Social Media in seiner heutigen Form folgt so gesehen dem Format eines Glücksspielautomaten, oder wissenschaftlich benannt: Operante Konditionierung. Das letzte Glied in der Kette, sozusagen, welches dafür sorgt, dass unsere Aufmerksamkeit bei der eigentlichen Ablenkung liegen bleibt.
Konsequenzen vom Mindless Scrolling
Wer hierfür empfindlich ist, kann schnell eine Mediensucht entwickeln, was gar nicht so selten passiert. Das liegt nicht nur an besagter operanter Konditionierung selbst, sondern eben auch am Status vom Smartphone. Es besteht die Befürchtung, sich selbst vom Diskurs auszuschließen, etwas zu verpassen oder sich zu entfremden. Zu viel Zeit am Smartphone tut jedoch eben auch nicht gut, wie vorangehende Beispiele schon gezeigt haben. Weitere Konsequenzen umfassen des Weiteren Kontrollverlust im Nutzungsverhalten, eine Bevorzugung gegenüber analogen Aktivitäten (Vielleicht kennt man diese eine Person, die, wenn man etwas essen geht, die ganze Zeit am Handy feststeckt) oder eben auch die Vernachlässigung alltäglicher Verpflichtungen.
Eine hierfür beispielhafte Studie gibt etwa an, dass 77% aller amerikanischen Angestellten Social Media auch während ihrer Arbeitszeit nutzen, teils für mehrere Stunden. Häufig ist das gar keine bewusste Entscheidung oder bloße Faulheit, sondern das besagte Spiel mit der Aufmerksamkeit. Man selbst stellt sich hiermit schließlich auch nur ein Bein, wenn die Deadline immer näher rückt. HBR erklärt, dass die große Gefahr wirklich die Schleife ist, in welche man hierbei gerät – ein Video nach dem anderen, bis hin zur namensgebenden Mindlessness. Genauso zeigt sich allerdings auf, dass dieser Effekt insbesondere auftritt, wenn man über das erste Video hinausgeht – also Bewusstsein kultivieren und die aktive Entscheidung treffen, nach einem Video wegzuklicken. 😊
Ultimately, there’s nothing wrong with watching a cat video or two, or scrolling through a few memes from a friend. It only becomes a problem when consuming all this media keeps you from doing the things you actually want to be doing. So, if you’re worried about falling down a rabbit hole (or if you’ve already fallen into one and you’re struggling to climb out), see if you can find ways to reduce the similarity, repetitiveness, and relatedness of the content you’re consuming. It can be difficult, but it’s not impossible — and once you manage to break free, you’ll be back at that big report in no time.
Wie wir unsere Konzentration zurückgewinnen
All diese Ergebnisse, machen allerdings auch eins ersichtlich: Das ist kein Problem, welches wir nicht in den Griff bekommen können. Wir fallen letzten Endes immer nur auf dieselben paar Tricks rein – und denen können wir zuvorkommen.
Einige Methoden haben wir vor geraumer Zeit bereits in unserem Beitrag zum Digital Wellbeing aufgelistet, doch hier ist nochmal unsere beste Auswahl:
⚕ Digital Health Tools: Viele Smartphones verfügen über die Funktion, die eigenen Trigger zu modifizieren (Push-Benachrichtigen deaktivieren für bestimmte Uhrzeiten, schwarz-weiß Bildschirm, limitierte Bildschirmzeit etc.) und diese kann man gerne nutzen. 😉
✍ Analoge Methoden: Smartphones sind unser Werkzeug für alles – und ist dieses erstmal in der Hand, bleibt es da. Dann doch lieber auf die Armbanduhr schauen, Notizen per Hand notieren oder Kalendertermine in einen hierfür vorgesehen Block eintragen. Trigger sollten reduziert werden.
🏘 Andere Räumlichkeiten: Das Smartphone aus dem Zimmer verbannen und schauen, wie gut man sich auf einmal konzentrieren kann.
Der Auslöser eines angeblichen intellektuellen Verfalls sind Handys zum Glück also nicht, doch allemal ein Störenfried. Das echte Leben spielt sich schließlich in keinem Bildschirm ab, auch, wenn es manchmal so aussehen mag. 😉 Digitales Konsumverhalten ist keine überstehende Macht, der wir uns beugen müssen, sondern insbesondere ein persönliches Problem, welches man adressieren kann. Ein Klacks ist das vielleicht nicht, aber es ist machbar. Eine gute Aufklärung hierzu ist zumindest der erste Schritt, um mehr Lebenszeit mit weniger Mindless Scrolling zu verbringen.
Was sind eure Tipps zu bewusstem Scrollingverhalten?
Zum Weiterlesen:
Answer In Progress (2021): what mindless scrolling does to you.
Egan, Timothy (2016): The Eight-Second Attention Span.
Hooton, Christopher (2015): Our attention span is now less than that of a goldfish, Microsoft study finds.
McSpadden, Kevin (2015): You Now Have a Shorter Attention Span Than a Goldfish.
Ohlmeier, Silke et al (2020): Why we are bored: towards a sociological approach to boredom.
Olmstead, Kenneth et al. (2016): Social Media and the Workplace.
Purohit, Aditya Kumar & Holzer, Adrian (2021): Unhooked by Design: Scrolling Mindfully on Social Media by Automating Digital Nudges.
Snow, Shane (2023): Science Shows: Humans Have Massive Capacity For Sustained Attention, And Storytelling Unlocks It.
Thornton, Bill et al. (2014): The Mere Presence of a Cell Phone May be Distracting: Implications for Attention and Task Performance.
Ultralativ (2024): So, wie schädlich ist Social Media denn nun wirklich?
Wooley, Kaitlin & Sharif, Marissa A. (2022): The Psychology of Your Scrolling Addiction.
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