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Lingering Identities: Erfolgreiche Übergänge zwischen Berufen



„Was möchtest du werden, wenn du groß bist?“, scheint häufig die Frage zu sein, welche uns bereits begleitet, kaum dass wir unsere ersten Worte sprechen – und abseits kindlichen Fabulierens (sei es Astronaut:in, Superheld:in oder das eine vorbürokratische Wunderkind, welches im zarten Alter von 4 den Traumberuf „Buchhalter:in“ für sich entdeckt), ist das gar nicht mal so einfach zu beantworten. Die Frage des Was willst du sein? birgt schließlich das Wer bist du? Und das ist ziemlich schwierig zu beantworten.


Studien zeigen, dass etwa die Hälfte aller neuen Angestellten in ihrer Rolle scheitern. Die Begründung? Sie seien kein „Fit“. Ganz einfach unpassend, das passiere schon mal. Sarah Wittman allerdings argumentiert, das läge nicht an einer grundsätzlichen Inkompatibilität, sondern vielmehr daran, dass wir den Sprung von einer Berufsidentität in die nächste nicht erfolgreich absolvieren. Vermeiden ließe sich das durchaus.


Wer bin ich? Das Entwickeln einer Karriereidentität

Die Allokation unseres eigenen Arbeitslebens erfahren wir relativ früh. Aus dem „Was willst du werden?“ entwickelt sich schließlich schnell der erste Karriereplan und somit die Blaupause der eigenen Zukunft - doch nicht alle können diese Frage so schnell beantworten. Immer mehr greifen deswegen auf das sogenannte Ikigai-Modell zurück.

Im Groben übersetzt bedeutet Ikigai „Das, wofür es sich zu leben lohnt“. Wenn auch nicht unbedingt hierfür entwickelt, findet das Modell seit den 60ern, popularisiert von Mieko Kamiya, immer mehr im Berufsleben Anwendung. Das eponyme Ikigai ist der Schnittpunkt einer Kombination aus „Was du liebst“, „Was die Welt braucht“, „Was du kannst“ und „Womit du Geld verdienen kannst“. In einer berufsbezogenen Anwendung läge unser Endziel und somit Ikigai also im Zentrum.


Im Optimalfall, in welchem man ehrlich und reflektiert mit sich selbst agiert, sähe das beispielsweise so aus:





Wir gratulieren, du hast ein Ikigai, welches sich zu verfolgen lohnt! So abgeklärt verläuft es häufig allerdings nicht…, sondern eher so:




Wie gesagt: Das „Wer bin ich?“ ist also gar nicht mal so einfach. Schließlich beschreibt diese eigentlich recht simple Frage das kollektive Gesamtbild unserer authentischen Lebenserfahrung und -erwartung. Drum rum kommen wir dennoch nicht, uns irgendwann mal wirklich hinzusetzen und das zu beantworten. Schwierig – ganz im Gegensatz zum…


Wer sind wir? Das Annehmen einer Berufsidentität

Berufsidentitäten sind einfach, denn Berufsidentitäten sind artifiziell; das hat im direkten Vergleichen nicht viel mit Authentizität zu tun. Wir sind, wer wir sind, aber Berufsidentitäten lassen sich wechseln wie ein paar Schuhe – nur passt nicht jeder Schuh. Man stelle sich nun vor, das Paar dennoch zu kaufen.


Viele heutige Unternehmen bemühen sich Vielfalt zu leben und diese am Arbeitsplatz zu repräsentieren mit Augenmerk auf eine Person, welche insbesondere gut ins Team passt. Jeder Arbeitsplatz hat schließlich seine eigene Kultur und bestenfalls können neue Mitarbeiter:innen sich hierin schnell einfinden. Weiterhin ist die Dynamik zwischen Identität und Arbeitsumfeld reziprok. Somit verläuft diese Beziehung beiderlei: Unternehmen suchen nicht nur nach Arbeitnehmer:innen, welche sich in ihre Kultur einfinden können, auch wir als berufssuchende Individuen schauen nach Arbeitskulturen, in die man hineinpasst. Selbstverständlich, wenn eine ausgeprägte Berufsidentität doch ein Gefühl von Zufriedenheit und Leistung vermitteln kann! Passt der Schuh, so haben wir einen guten Fit. Aber ein Schuh muss ja nicht nur passen, sondern auch gut aussehen.


Lingering Identities

Am Ende des Tages verbleibt es natürlich schwierig zu ermitteln, wohin es nun eigentlich im Leben gehen soll – und obendrein sind Pläne fluide und ändern sich dementsprechend. Vielleicht war man fünf Jahre vollkommen zufrieden im Unternehmen und stellt dann fest, irgendwie ist das hier nicht mehr das Wahre. Identität ist letzten Endes ein kontinuierlicher Prozess, niemand bleibt ein Leben lang gleich - und dann muss es nun mal weitergehen. Schuhe passen nur solange die Füße nicht wachsen. Die Metapher ist jetzt fertig. Versprochen. 😉


Bei dem sich hierbei ständig weiterentwickelndem Wirrwarr aus wer man ist, wer man war, indem man welche Berufsidentitäten annahm, kann es beim Übernehmen neuer Tätigkeiten zu einem Problem kommen: Sarah Wittman beschreibt, wir seien vielmehr ein Palimpsest, dessen Textreste man abschabt, statt einem Whiteboard, welches man mit einem Wisch bereinigen kann. Überreste verbleiben. Als Lingering Identities bezeichnet sie dieses Phänomen: Wir tragen Stücke vergangener Arbeit mit uns in neue Berufsfelder. Darum entstehen zumeist schlechte Fits, nicht wegen einer grundlegenden Inkompatibilität. Etwas, das alle involvierten Parteien vermeiden möchten. Ist man sich hierüber im Klaren, ist auch die Begleitung zum Übergang in neue Möglichkeiten einfacher.


Präventiv zu alledem wirkt häufig allerdings schlicht und ergreifend durchdachtes Recruiting, das sicherstellt, tatsächlich eine passende Person ins Team zu holen. Bei 55 halten wir etwa stets Rücksprache mit dem Team, damit alle einen guten Eindruck bekommen, gerne auch informelle Gespräche und falls doch mal nicht alles glattlief, eine anständige Reflexionspause, um herauszufinden, wo es haderte. 😉 Manchmal reicht es nun mal auch zu fragen: Was wollen wir? Bewerber:innen müssen sich allerdings fragen…


Was will ich? Lingering Identity verstehen

Basierend auf alledem, gilt es nun eine letzte grundlegende Frage zu beantworten: Was kann ich tun, um einen Job zu finden, der meiner Identität gerecht wird und eine schlechte Einstellung zu vermeiden? Was bringe ich aus meinem letzten Job in meinen nächsten mit? Um diese besser zu beantworten, lässt sich, so Wittman, Identität in drei Aspekte spalten:


  1. Value: Das bezeichnet, wie viel Selbstwert Personen aus einer einzelnen, beruflichen Identität beziehen. Personen, welche beispielsweise den Sprung vom Glamour-Mogul zum Versicherungsberater vollziehen, könnten sich in ihrem Selbstwert auf einmal heruntergetreten sehen. Auch das ist Lingering Identity und erfordert einen offenen Umgang mit sich selbst.

  2. Meanings: Diese bezeichnen die Assoziationen und Konnotationen verschiedener Berufsidentitäten. Probleme kann es nämlich geben, kollidieren die eigenen Assoziationen mit den in Bedarf stehenden eines neuen Berufs. Hilfreich ist eine möglichst präzise Benennung dieser, statt generisch positiver Keywords. “Klug”, “zuverlässig” oder “ehrlich" sind zwar gute Startpunkte, doch umso spezifischer – etwa am Beispiel der Journalist:innen – wären investigativ, blitzgescheit, kritisch und dergleichen. Hiermit lässt sich feststellen: Wo sonst könnte man ein Fit erzielen? Piercer:in wird man mit diesen Begriffen vielleicht nicht, aber Privatdetektiv:in klingt doch verlockend! 🕵️🕵️‍♀️

  3. Enactments: Wie leben wir diese Identität tagtäglich im Arbeitsumfeld aus? Es geht hierbei ums Was, das Wie und mit Wem der Arbeit. Am einfachsten kann man hierfür die eigene Arbeitsroutine erfassen und sich in neue Situationen hineinversetzen: Wie würde meine neue Routine aussehen? Und wie gehe ich damit um?

Bezeichnet wird dieses System als VME-Framework und Ziel ist das Finden einer Rolle, welche der eigenen Identität gemäß ist. Es ist ein Kompatibilitätsverfahren. Wie gesagt: Das perfekte Fit gibt es selten, doch angemessene Reflexion hilft in jedem Fall bei der Suche, solange man ehrlich mit sich ist. Die hier vorgestellten Ideen fungieren schließlich auch als Unterstützung hierbei sowie der eigentlichen Einfindung. Den nächsten Schritt jedoch muss man selbstständig wagen.


Habt ihr Erfahrungen mit Lingering Identities und schlechten Fits am Arbeitsplatz? Was sind eure besten Tipps? 🤔


Zum Weiterlesen:


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