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Customer Experience in Zeiten von Corona



Ein persönlicher Erfahrungsbericht mit Blick auf die Zukunft des Handels


Die Zeiten haben sich geändert: Während ich mich früher Samstagnacht vor den Club gestellt und auf den Einlass gewartet hätte, tue ich das inzwischen am Samstagvormittag vor Bau- und Supermärkten. Doch ich war nicht allein – mit Maske und verschwitztem Gesicht im 1,5 Meter Abstand standen wir gemeinsam, fast kollektiv, vor den Türen der Konsumtempel und warteten verzweifelt darauf, ein stark eingeschränktes Shoppingerlebnis zu spüren. Beim Anblick der grimmig dreinschauenden Security im Eingangsbereich verstärkt sich der Vergleich zum Kiez-Besuch.


Warum also überhaupt der Versuch, in dieser Zeit vor die Tür zu gehen? Nicht weil ich nicht bereit bin, online zu bestellen – unser DHL-Bote begrüßt mich inzwischen mit dem Vornamen und der von Hermes wollte mir schon (wegen der vielen Pakete) zum Geburtstag gratulieren. Doch beratungsintensive Produkte mit gewisser finanzieller Investition, wie zum Beispiel ein Rennrad, klicken sich eben nicht so locker-flockig in den digitalen Warenkorb.


Also bin ich eben neuerdings bereit, mich 30 Minuten vor einem großen Fahrradhändler anzustellen, was ich früher nur für die coolsten Schuppen auf dem Kiez getan hätte.


Praktisch über Nacht hat uns COVID-19 gezwungen, unser Kundenverhalten zu verändern: digital, möglichst Zuhause und wenn eben doch vor Ort, dann bitte „low touch“. Ohne Einkaufserlebnis und Atmosphäre, sondern ein schneller Kick Konsum.

Werden wir uns daran etwa gewöhnen?


In den sozialen Medien kursieren schon die ersten Witze darüber, welche der durch die Corona-Krise angeordneten Maßnahmen wir uns langfristig aneignen sollten. Getreu dem Motto – ich bin gekommen, um zu bleiben, definiert sich hier das “New Normal”. Zum Beispiel, der Person vor Dir an der Kasse nicht wie gewohnt den Wagen in die Hacken zu rammen, sondern entspannte 1,5 Meter Abstand zu halten. Warum auch nicht! Doch wir glauben, auch weitere Gewohnheiten, die wir uns jetzt anlegen, neue Kanäle, die wir nun ausprobieren (müssen) und Marken, die uns in der Krise überzeugen, werden in der Zukunft bestehen.


Was bedeutet das für die Customer Experience von Heute und Morgen?


Der Shift zu digital bedeutet auch, dass Anbieter eine noch viel bessere Integration und Verzahnung der Kanäle hinbekommen müssen – on- oder offline spielt da keine große Rolle mehr und ist für Gen Z eh kaum noch zu unterscheiden. Seamless Customer Journey und Experience bestimmen künftig mehr als nur das Marketing.


Denn wenn wir mal ehrlich sind, ist aktuell das Einkaufserlebnis, zumindest bei meinem Supermarkt um die Ecke, eher beklemmend:

Quelle: Eigene Darstellung


Online-Offline Integration


Wenn ich im Laden wegen Ansteckungsgefahr möglichst wenig anfassen möchte und die Berater nur ungern mit mir sprechen – woher bekomme ich dann meine Informationen? ONLINE. Wenn ich im Laden das perfekte Rad finde, aber meine Rahmengröße nicht auf Lager ist? ONLINE. Doch die Probefahrt, das Rattern über die künstlich angelegte Teststrecke, das kann ich eben nur vor Ort. Und genau deshalb sollte auch die In-store Experience weiter gepflegt werden. Denn selbst mit von der Maske beschlagenen Brillengläsern und vom Warten ungeduldigen Kindern im Schlepptau waren viele Kunden nicht bereit, darauf zu verzichten.


Welche Entwicklungen erkennen wir aktuell noch?


Das haben einige Anbieter bereits verstanden und beginnen, ihre Stores an die aktuellen Gegebenheiten anzupassen:


Im berühmten Fahrradladen war der Zutritt nur mit Maske zugelassen – diese gab es jedoch für 2 Euro am Eingang zu kaufen. Außerdem wurde, um die Warteschlange zu verkürzen, versucht, die Kunden nach Interessensgruppen zu teilen, damit nicht die e-Bike Fans und Mountainbiker allesamt durch die Kinderabteilung rennen müssen und dort für noch mehr Enge und Unruhe sorgen. Hilfreich, jedoch bei weitem noch nicht ausgereift.


Mein Bäcker bot diesen Service am Sonntagmorgen leider nicht an, worauf ich wegen meiner vergessenen Maske, wieder unverrichteter Dinge nach Hause gehen durfte, um meinen Batman-Edition Mundschutz zu holen und ihn dann stolz in der Schlange der Brötchenholer zu präsentieren.


Da sind einige Supermärkte schon etwas weiter, beispielsweise mit automatischen Eingangskontrollen, die dem Kunden anzeigen, wann sie den Laden betreten dürfen. Die Besucherströme weitergehend auszuwerten und die Produkt- und Werbeplatzierungen danach auszurichten, wird wohl nicht lange auf sich warten lassen.


Aber auch hier kann ich online noch nicht die aktuelle Wartezeit abrufen, erfahre keine Hochrechnung, wann die Wartezeit etwa wie lange sein wird, und ob es gerade ein guter Zeitpunkt zum Einkaufen ist.




Quelle: © BR/Rene Kirsch


McDonalds Australien nutzt derzeit seine vorhandene Infrastruktur von Drive Thru und Lieferservice und bietet auf den digitalen Menüboards der Restaurants auch ungewöhnliche Produkte des täglichen Bedarfs wie Milch, Eier und Brötchen. Ungewöhnliche Zeiten rufen eben ungewöhnliche Aktionen hervor.


McDonalds Niederlande wiederum bereitet inzwischen die Wiedereröffnung ihrer Standorte vor und testet dabei neue Prozesse und Funktionen – gezwungen durch die auch zukünftig geltende Kontaktvermeidung: In Arnheim werden Warteplätze zur Trennung der Kunden ausgewiesen und darüber hinaus geprüft, wie der Tischservice ausgeweitet werden kann, indem die Kunden von Essenswagen statt Mitarbeitern bedient werden. Kommt demnächst doch, wie in einigen Lokalen in Japan und China schon erprobt, Kollege Roboter und serviert unser Essen?


Andere Beispiele sind die, die ihre Leistungen schlichtweg online anbieten: Fitnessstudios und Yogaschulen z.B. laden ihre Kurse online hoch, so dass ihre Mitglieder in Echtzeit auch von Zuhause teilnehmen können. Wer weiß, welche der Teilnehmer sich auch zukünftig den Weg zum Fitnessstudio sparen und zuhause die Yogamatte ausrollen. Ist Peloton vielleicht einer der Gewinner dieser Veränderungen? Mit ihrem interaktiven Kursangebot, dem individuellen zeitlichen Freiheitsgrad für die Durchführung der sportlichen Betätigung, dem gewünschten Social Following anstelle von Social Distancing und einem attraktiven Produkt, erwächst hier ein Konkurrent zu den etablierten Fitnessstudios.


Zukunftsmusik oder dringend notwendig?


Die Coronakrise lässt das, was früher noch nach Zukunftsmusik klang, plötzlich dringlich werden: Kontaktloser muss es werden, strukturierter und hygienischer, und das sehr schnell.


Mobile Payment, Smart Shelves, Drive-In Shops, Indoor-Navigation, Automatic Check-In/Out – wir sind gespannt, was sich im deutschen Handel in den nächsten Wochen bewegen wird und werden weiterhin beobachten, mit welchen Konzepten und Ideen die Händler in den nächsten Wochen um die Ecken kommen, um sich auch nach der Krise zukunftsfähig aufzustellen.


Wir freuen uns auf radikale, innovative Ideen und agile, flexible Umsetzungen und unterstützen Unternehmen weiterhin gerne dabei, diese zu entwickeln und umzusetzen.


Ein paar Tipps, wie Unternehmen Kunden durch Verbesserung des Einkaufserlebnisses an sich binden können:


  • Banal aber wahr: Ermöglichen Sie den Kunden den Einkauf! Bei einer “Ohne-Maske kommst du hier nicht rein” Mentalität entscheidet ein kleines Stück Stoff, ob es überhaupt zu einem Einkauf kommt. Wer seine Maske vergisst, kann gegen eine kleine Gebühr eine Maske am Eingang erwerben.

  • Kundensorgen ernst nehmen! Die Sorge einer potenziellen Ansteckung sollte durch die Möglichkeit zum Desinfizieren der Hände, Einkaufskörbe oder -wagen bei Ein- und Ausgang ermöglicht werden.

  • Talk to me! Nutzen Sie das Potential einer Video- oder Telefonberatung, insbesondere für erklärungsbedürftige Produkte.

  • Über Social Media individuelle Terminvereinbarungen vereinbaren und Echtzeitinformationen (z.B. zu Besucherandrang oder Produktnachlieferungen) an Kunden kommunizieren.

  • Warum nicht die Wartezeit, bis Kunden den Laden betreten können, "bespielen" (z.B. mit Werbevideos oder "Window Shopping")?

  • Don’t touch it! Bieten Sie alle Services mit möglichst geringen Kontaktflächen an, z.B. im Zahlungsverkehr oder automatische Türöffner.

  • Pick up ist mehr als nur ein Pausensnack: Ermöglichen Sie es den Kunden einen Pick up Service zu nutzen.

  • Omnichannel: Erschaffen Sie eine integrierte Offline-Online Welt.


In unsicheren Zeiten ist eines sicher – wir brauchen die Veränderung, um die Zukunft zu gestalten. Und je früher wir anfangen, diese Veränderung als integralen Bestandteil des Unternehmens zu begreifen, desto erfolgreicher werden wir in der Zukunft.



Quellen:



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